Verantwortung – oder: in Siebenbürgen auf der Suche nach alten Werten

Mein zuletzt hochgeladenes Video „Nachhaltigkeit“ habe ich in Deutsch erstellt. Wer meinen Youtube Kanal noch nicht aboniert hat, das ist hier möglich. Als gebürtiger Österreicher ist zwar auch Hochdeutsch eine Fremdsprache, dennoch kann ich mich besser ausdrücken als in Englisch oder Rumänisch. Wenn’s trotzdem manchmal etwas holprig klingt, bitte ich um Nachsicht.

Wer den „Donkey Man“ noch nicht kennt: die ersten 43 Jahre meines Lebens habe ich in Österreich verbracht und seit 15 Jahren lebe ich nun in meiner Wahlheimat Rumänien. Nachdem ich die von mir mit aufgebaute Werbeagentur mit Kunden aus Österreich und Deutschland verlassen hatte, hatte ich das Bedürfnis, meinem Leben mehr Sinn und Inhalt zu geben. Der „wilde Osten“ schien dafür geradezu prädestiniert und durch verschiedene Umstände bin ich schliesslich im kleinen Dorf Cund gelandet – ziemlich in der Mitte von Transsilvanien – oder auch Siebenbürgen wie es die deutschen Siedler hier nannten – gelandet.

Die Basisidee war, meine Schöpfungskraft und mein Know-How einer grösseren Aufgabe zur Verfügung zu stellen als der Anhäufung von Wohlstand. Meine ersten Besuche in Rumänien – das damals für mich wie viele Westeuropäer ein weisser Fleck auf der Landkarte war – habe ich im Rahmen eines Hilfsprojekts gemacht. Wir sammelten gebrauchte Güter unserer Wegwerfgesellschaft, transportieren sie in LKWs nach Rumänien und verteilten sie an Bedürftige. So weit die Theorie. Leider musste ich schnell entdecken, dass unsere „Hilfe“ auch viele negative Effekte hatte. Wir erzogen die Menschen hier zu Bettlern, wir förderten Neid und Missgunst unter den Menschen und wir schadeten – auf lange Sicht gesehen – auch der rumänischen Wirtschaft.

Bei dieser Gelegenheit konnte ich aber nicht nur sehen, was „Armut“ – in unserem Sinn – bedeutet, sondern auch, wie vielseitig und relativ unberührt die rumänische Landschaft ist, welche versteckte Kleinode es hier zu entdecken gibt und wie hilflos – weil unerfahren – viele Menschen hier waren, den Wert darin zu sehen und vielleicht sogar den Lebensunterhalt damit zu verdienen. Ich begann damit, den ersten deutschsprachigen Online-Reiseführer für Rumänien zu gestalten. Im Jahr 2000 war das Wissen über das Land noch sehr spärlich und gedruckte Reiseführer gab es so gut wie noch nicht.

Aus dieser Tätigkeit heraus entstand dann ein Online-Karten- und Büchershop und wenig später begann ich, erste Reisen in Rumänien zu organisieren. Gemeinsam mit einheimischen Partnern planten wir Touren für Reisende aus den deutschsprachigen Ländern und begleiteten Sie auf Ihrer Reise. Das mache ich weiter seit nunmehr 20 Jahren. Irgendwann war mir dann das Pendeln zwischen Österreich und Rumänien zu anstrengend geworden und es blieben dabei nicht nur viel Zeit und Geld auf der Strecke. So entschied ich schliesslich, Rumänien ganz zu meiner Heimat zu machen.

Was ich nun seit 15 Jahren hier mache, ist, alte Bauernhäuser zu renovieren, ich habe einen Obstgarten aus der kommunistischen Ära gekauft und betreibe dort Bio-Obstbau. Das Land war über 30 Jahre völlig herunter gekommen und es bedurfte jahrelanger Arbeit, die Flächen teilweise wieder landwirtschaftlich nutzbar zu machen. Durch sehr sanfte Bearbeitung – ich nehme nur Heu von wunderbaren Blumenwiesen und eine kleine Menge an Brennholz sowie einen Teil des Obstes heraus – ist es gleichzeitig ein kleines Paradies für Wildtiere geworden. Rehe, Hasen, Füchse, manchmal auch ein Hirsch oder Bär, sowie selbstverständlich eine unglaubliche Anzahl an Insekten und Vögel haben hier ihren Lebensraum gefunden.

Vor einigen Jahren begann ich damit, Esel, von Besitzern, die keine Verwendung mehr für sie hatten, die sie teilweise auch misshandelt haben, aufzukaufen und auf meiner „Donkey Farm“ ein neues Zuhause zu schaffen. Das Heu kommt von meinen eigenen Wiesen, der Dung geht wieder dorthin zurück. Auf Kunstdünger oder chemische Spritzmittel verzichte ich ganz – sowohl im Obstgarten als auch im hauseigenen Gemüsegarten. Das Ziel ist grösstmögliche Selbstversorgung, aber auch Gäste, die ich – meist im Sommer – in einem meiner selbst renovierten Gästehäuser beherberge, erhalten fast ausschliesslich Mahlzeiten aus eigener Bio-Produktion. Die Esel dürfen manchmal Reisende auf Wanderungen begleiten und die Einnahmen daraus finanzieren wiederum den Unterhalt.

Auch wenn der Turbokapitalismus mittlerweile auch Rumänien erfasst hat – und über viele der negativen Auswirkungen habe ich schon im letzten Video berichtet – konnte ich doch von den Menschen hier einiges lernen. Viele Dorfbewohner kennen noch Zufriedenheit, eine Eigenschaft, die dem Konsummenschen leider fast völlig verloren ging. Auch habe ich viel Pragmatismus gelernt, den man sich wohl in der kommunistischen Ära angeeignet hat. „Ce sa faci, n-ai ce sa faci“ und „merge si asa“ sind geflügelte Worte, die man fast in jedem Gespräch einmal zu hören bekommt. Übersetzt heisst das „was soll man machen – man kann ja nichts machen“ und „es ist auch so gut genug“. Vieles vom in Österreich erlernten Perfektionismus musste ich ablegen.

Meine Aufgabe sehe ich nun darin, zwei Kulturen zusammen zu bringen. Und zwar auf eine Weise, die nicht nach materialistischen Wertstäben bewertet. In unserer Gesellschaft haben immer die reichen Nationen das Sagen und die ärmeren werden ausgebeutet. Selbstverständlich versuchen diese auch, ebenfalls ein Stück vom Kuchen abzubekommen und so sind in den letzten 30 Jahren Millionen Rumänen ins reichere Ausland ausgewandert oder verdienen ihr Geld als Saisonarbeiter sonstwo in Europa.

Bei all meinen Aktivitäten – egal ob Tourismus, der Eselhaltung, in der Landwirtschaft oder bei der Häuserrenovierung aber auch im Umgang mit meinen Dorf-Mitbewohnern – versuche ich, mich verantwortungsvoll zu verhalten. Ich halte mich nicht für einen „grünen“ Aussteiger oder Systemverweigerer und auch nicht als Besserwisser. Nein, ich denke, Respekt gegenüber allem Leben und sein Bestes zu geben, egal was man gerade macht, sowie Rücksichtnahme auf andere sind Werte, die wir wieder entdecken müssen, um aus der Sackgasse, in die uns der Turbokapitalismus in den letzten Jahrzehnten geführt hat, hoffentlich halbwegs unbeschadet wieder raus zu kommen.

Besonders freut es mich, wenn diese Hilfe, zwei Kulturen einander näher zu bringen – und Reisen erweitert bekanntermassen den Horizont – auf fruchtbaren Boden stösst und vielleicht der eine oder andere Besucher hier etwas für sich selbst mitnimmt aber auch die Menschen, mit denen ich hier im Siebenbürgischen Dorf lebe, an meinem Beispiel sehen, dass es auch ohne Betrügereien möglich ist, in Rumänien ein dezentes und inhaltsreiches Leben zu führen.

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ch.harfmann