Wandern mit Eseln – Kindergeburtstag oder Schule fürs Leben?

Ich kann es in den Gesichtern lesen: diese reine Männergruppe, die nach Cund gereist ist, um hier ihrem hedonistischen Lebensstil ein weiteres kulinarisches Wochenende hinzuzufügen, hat gestern lange gefeiert und findet, dass „Wandern mit Eseln“ eher eine Aktivität für Kindergeburtstage ist. Trotzdem folgen sie dem Programmablauf ihres Reiseunternehmers. Und hier stehen sie nun: acht „echte Männer“, allesamt in ihrer beruflichen Karriere weit fortgeschritten und gewöhnt daran, sich für gutes Geld in der Freizeit bespassen zu lassen. Da ich Herausforderungen liebe, will ich diesen Herren beweisen, dass sie eine völlig falsche Vorstellung über Eselwandern haben und dass auch sie – so erfolgreich und abgeklärt sie sein mögen – noch reichlich lernen können.

Nach einer kurzen Einführung über die Geschichte der Donkey Farm und das Führen von Eseln geht’s los. Normalerweise gilt die Regel: zwei Erwachsene führen einen Esel, da ich es hier mit „gestandenen Männern“ zu tun habe, bekommt jeder von ihnen einen Esel, für den sie während des gesamten Tages verantwortlich sein werden. Esel führt man nicht wie einen Hund. Diese sehr empathischen Tiere reagieren sehr stark auf die Energie ihres Führers. Esel sind von Natur aus vorsichtig und erst mal muss der Mensch beweisen, dass sie ihm vertrauen können. Strahlt der Führer Unsicherheit oder auch Desinteresse aus, wird der Esel darauf reagieren. Wir wandern also den ersten Hügel hoch, dort wo sonst die Schafherden weiden. Erster Widerstand ist in der Gruppe zu vernehmen, wenn ich rigoros an die bei der Einführung erklärten Regeln für die Eselwanderung erinnere: Leine richtig halten, nicht zurück fallen lassen, keine Handys!

Schnell ist der Restalkohol des Vorabends rausgeschwitzt und wir wandern auf einem Hügelkamm hoch in den schönen Laubwald. Neben dem eigenen Ego gibt es zwei Dinge, auf die die Teilnehmer Acht geben müssen: Wir wollen Zusammentreffen mit Schafherden vermeiden, da diese oft von einem Rudel sehr aggressiver Herdenschutzhunde begleitet werden und wir wollen nicht auf Bären stossen in den Wäldern. Damit die Teilnehmer – allesamt in ihrem Alltag in Führungspositionen – sich nicht langweilen, wähle ich eine eher anspruchsvolle Route – wir müssen durch’s Dickicht, steile Anstiege hoch wandern und auch beim Abstieg wähle ich nicht die sanfteste Variante. Es kam schon mal vor, dass hier eine Frau in Tränen ausbrach. Aber nicht diese Männer. So wandern wir etwa 12 Kilometer über diesen Hügelkamm, mal rauf, mal runter, bis wir endlich bei meiner Sommerweide ankommen. Hand auf’s Herz, Leute, hätte einer von Euch den Weg alleine zurück gefunden?

Hier in meinem, von der modernen Welt völlig abgeschiedenen, Tal bereite ich für die Herren ein herrliches Mittagessen zu – ein pikantes Kesselgulasch, zubereitet am offenen Feuer. Dazu gibt’s selbst gemachtes Brot aus dem Holzbackofen, frisches und eingelegtes Gemüse aus dem eigenen Garten, einen zwölf Jahre gelagerten hausgemachten Birnenschnaps und Wein von einem lokalen Winzer. Bei den Gesprächen wird klar: diese Tour hatte nichts mit Kindergeburtstag zu tun! Die Teilnehmer geniessen das delikate Essen, das sie sich mit körperlicher Anstrengung redlich verdient haben, es gibt viel Lob und die üblichen Neckerein zwischen Männern. Die Esel grasen inzwischen – ebenfalls zufrieden – auf der Wiese – mit in Europa einzigartiger Biodiversität. Nach einer ausgedehnten Pause geht’s auf kürzerem Weg zurück ins Dorf.

Natürlich frage ich die Menschen, die ich auf diesen Touren begleite, auch immer nach ihren Erfahrungen. Und hier sind ein paar Aussagen: „Es war ein wunderschöner, erlebnisreicher Tag“. „Ich bin teilweise schon an meine Grenzen gestossen“. „Perfektes Training für Empathie, Teamgeist und Umgang mit schwierigen ‚Mitarbeitern'“. „Es war so ganz anders, als ich mir das vorgestellt hatte“. „Was Du hier auf die Beine gestellt hast, ist schon einzigartig“. „Wir hoffen, einmal wieder kommen zu können“. „Ich habe mich in meinen Esel verliebt“.

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ch.harfmann